Vor Ende April war ich dienstlich ganz allein in Shanghai unterwegs, war an der Deutschen Schule am Shanghai Eurocampus eingeladen und habe mich dort mit der neuen Prozessbegleitung Ostasiens getroffen, um ihr meinen Job zur regionalen Fortbildung zu übergeben. Es war in diesem Jahr definitiv meine letzte Dienstreise – nach so vielen in diesem Jahr, die ich alle sehr genossen habe.
Stephan blieb in Beijing, wollte sich um ein paar Angelegenheiten der Ostasienspiele kümmern, die wir für Anfang Juni an unserer Schule organisieren (siehe Schulhomepage: www.dspeking.net.cn), und somit war ich – nach den Gesprächen am Eurocampus – auch mal wieder ganz allein und ganz chinesisch unterwegs. Es sollte ein Samstag nachmittag mit verschiedenen Begegnungen werden.
Mit Absicht spazierte ich in ein chinesisches Viertel, wollte Luft schnappen und geruhsam unterwegs sein, um die schulischen Gedanken los zu werden, und da die Luft diesig war, zog es mich auch gar nicht zum Bund, wo die glitzernden Hochhäuser Shanghais zu sehen sind. Ich wollte lieber mal wieder schauen, wie das Leben auf der Strasse sich so zutrug….ob es nicht etwas zu entdecken oder zu beobachten gab. Gleichzeitig hatte ich mir vorgenommen, meine Sprachkenntnisse auszuprobieren – wann sonst hab ich denn die Chance mal Chinesisch zu sprechen? Meist beschränkt sich meine Konversation auf meinen wöchentlichen Chinesischunterricht, den ich sehr genieße, aber die praktische Anwendung außerhalb dieser 90min fehlt einfach.
Also, tippelte ich zunächst in Richtung U-Bahnstation in der Nähe, wollte mich erkundigen, wie ich am folgenden Tag zum Flughafen kommen sollte, wie lange ich unterwegs sein würde, und außerdem wollte ich wissen, wie viel Geld noch auf meiner wieder aufladbaren Karte war, um vor dem Abflug nicht noch in Nöte zu kommen.
Nach einem Spaziergang lief ich die Treppen zum U-Bahnhof hinab und sah mich sogleich mit mehreren Maschinen konfrontiert, die unterschiedliche Aufgaben erfüllen: Verkaufsmaschinen für Tickets und Geldwechselmaschinen, aber keine, die den Wert meiner Karte ablesen und weiteres Geld zum Wiederaufladen entgegen nehmen konnte. Also nahm ich mich erstmal dem U-Bahnplan an, um die Strecke auszukundschaften. Dass ich bereits an der richtigen Bahnlinie zum Flughafen war, wusste ich, doch unklar war mir, wie viele Stationen ich wohl noch fahren müsste. Lesen konnte ich den Plan leider nicht – alles auf Chinesisch…..nein, doch nicht. Aber die lateinischen Buchstaben waren komplett ausgeblichen, was so gut, wie denselben Effekt hatte: Ich konnte nix lesen! Also sprach ich eine Frau an, die mich auch sofort verstand, mir den Plan erläuterte und dann sogar ihren Bahnplan auf dem handy konsultierte, den ich auch lesen konnte – toll! Ich blieb noch einen Moment, um meinen neuen Infos auf dem chinesischen Plan nach zu vollziehen und konnte mir dann auch ein paar Zeichen zusammenreimen. Das sollte kein Problem sein: 6 Stationen, ca. 30min Fahrzeit bis zum Flughafen.
Dann sprach ich ein junges (?) Mädchen/junge Frau an, um sie nach einem Automaten zu fragen, der mir Auskunft über den Wert auf meiner elektronischen Fahrkarte nennen konnte, aber sie schien mich nicht zu hören….ich sprach ein wenig lauter….nichts….ich tippte sie an die Schulter….sie wandte sich mir nicht zu, ging eher einen Schritt weiter. Ich war ganz verwundert, denn sie trug keine Ohrstöpsel, hörte also keine Musik. Die musste mich doch hören: Ich sprach lauter und bat erneut um Verzeihung und tippte sie abermals an die Schulter…….da dreht sie sich ab und lief schnellen Schrittes weg…….Das war mir nun wirklich noch nie passiert; sie hatte mich einfach stehen lassen, wahrscheinlich aus Angst Ausländisch/Englisch mit mir reden zu müssen. Jedenfalls blieb ich ziemlich verdattert stehen, blickte auf und sah, wie eine Angestellte, die den Scanner beim Zugang zu den Gleisen kontrollierte (da muss man seine Handtaschen durchleuchten lassen, bevor man die U-Bahn benützt), mich zu sich heran winkte. Sie fragte, ob SIE mir helfen könne….da wiederum war ich ganz perplex; wahrscheinlich hatte sie mit angesehen, wie wenig Resonanz auf meine Bemühungen erfolgt war, und sie schickte mich einfach eine Treppe hinab, wo ich das richtige Gerät fand und feststellte, dass ich noch genügend Geld für all meine geplanten Fahrten auf dem Ticket hatte. Hat also auch geklappt!
Ich wollte meinen Spaziergang dann wieder an der frischen Luft fortsetzen und verfranzte mich schon nach der ersten Abbiegung…..das sollte mir jedoch erst viel später auffallen. War aber auch kein Beinbruch, ich hatte schließlich Zeit und konnte auch auf einem Umweg zum Tempel kommen, den ich mir mitten der Stadt, zwischen all den schicken Malls anschauen wollte. Allerdings kam ich doch recht weit von der Strecke ab, sodass ich doch auf die Bahn umstieg, um 2 Stationen zu fahren. Völlig abgelenkt, oder auch völlig müde, wie ich war, stieg ich aber schon an der nächsten Station aus und fragte nach dem Weg – allerdings war ich in der Annahme, dass ich korrekt ausgestiegen war. Der erste chinesische Helfer ließ mich auflaufen und raunzte mir im Vorbeigehen eine absurd falsche Antwort entgegen, sodass ich ihm sogar hinterher rief, dass sein Antwort die falsche war. Wie gern hätte ich chinesisch geflucht, aber meine Chinesischlehrerin bringt mir niemals Schimpfwörter bei: Sehr schade!
Zwei Männer wiederum waren hilfsbereit und so geduldig mir zu erklären, dass ich eine Station zu früh ausgestiegen war…..und ich hab alles verstanden, was sie mir sagten: Großartig! Ich flitzte wieder die Treppe hinab und nahm die nächste Bahn, um eben noch jene eine Station weiter zu fahren, lief zum Tempel und betrachtete aus der Ferne die geschwungenen Dächer, die so typisch chinesisch sind, neben all den glitzernden Hochhäusern der Haupteinkaufszone Shanghais. Das sind wirklich immer wieder Momente der absoluten Gegensätze, derer ich mich immer wieder erfreuen kann oder über die ich schmunzeln oder staunen muss. Das ist China heute: Ein kontrastreicheres Land kann ich mir kaum vorstellen.
Fazit dieses Tages war aber für mich ganz persönlich, dass ich inzwischen doch ein bisschen mehr als nur ein paar Brocken sprechen kann. Dass ich fast von einem Sprachgefühl sprechen kann, dass mich nun ab und zu mal überkommt und ich dann mit stolzgeschwellter Brust aus der Situation gehe und mich einfach daran freuen kann, etwas verstanden zu haben oder mich mitgeteilt zu haben. Schade nur, dass diese Momente so selten sind. Schade, dass die vielen tausend Schriftzeichen immer noch ein Buch mit 7 Siegeln sind….und leider ist es auch ein Fakt, dass ich die nicht mehr alle werde lernen können. Doch….und das ist hiermit ein halb-öffentliches Versprechen, werde ich im nächsten Schuljahr nochmals versuchen, die 600 Zeichen für die HSK-Stufe 3 zu lernen (das ist ein anerkanntes Sprachenzertifikat). Uiuiui……mal sehen, ob ich das wirklich packe. Das haben schon einige Kollegen geschafft, also ist das durchaus machbar. Ist nur eine Frage des Willens….
Nächste Woche habe ich auch wieder Chinesischunterricht: Denkt mal dienstags an mich, wenn ich von 18-19.30h mit meiner „lao shi“ (gesprochen:Lau-sche) spreche. Ich werde ihr eine Dokumentation von N3 zeigen; dort gab es vor kurzem eine Reportage über chinesische Touristen in Deutschland, und wie sich ihre chinesischen Reiseführer in D schulen lassen, um sie in nur 8 Tagen durch 5 Länder zu lotsen bzw. beim Shopping zu unterstützen. Wird ihr sicher Spaß machen – ich werde übersetzen und sie wird mich Löcher in den Bauch fragen 🙂